Gedenken
&
Erinnern
Medizinisches Unrecht

Jacob (Jakob) „Johnny” Bamberger

geb. am 11.12.1913 in Königsberg
gest. 1989

Der Sinto Jacob Bamberger lernte als Kind halb Deutschland kennen. Seine Eltern betrieben Pferdehandel und ein Wanderkino, das es der Landbevölkerung ermöglichte, Spielfilme fernab der Städte zu sehen. Als den Sinti und Roma 1935 das Reisen verboten wurde, vermieteten Jacobs Eltern das Wanderkino an ihren bisherigen Filmvorführer. Jacob arbeitete daraufhin bis 1939 bei der Reichsbahn im Raum Frankfurt am Main. Die Eltern besaßen bereits seit 1933 ein eigenes Haus.

Ausschluss aus dem Olympiateam

Als einer der besten deutschen Amateurboxer im Fliegengewicht gehörte Bamberger seit 1934 der deutschen Kernmannschaft für die Olympischen Spiele von 1936 an. Auch in den eigentlichen Olympiakader wurde er berufen, dann aber im Rahmen der rassistischen „Säuberung“ durch die Nationalsozialisten ausgeschlossen. Gleichwohl durfte er an Meisterschaftskämpfen teilnehmen und wurde am 15. April 1938 nach einer Niederlage gegen Nikolaus Obermauer deutscher Vizemeister im Fliegengewicht. 1939 verteidigte er diesen Rang, 1940 wurde er noch Dritter der Deutschen Meisterschaften.1

Im selben Jahr wurde Jacob Bamberger mit seiner Familie im Rahmen der „Maideportationen“ festgenommen. Er selbst berichtete: „Eines Tages war die Gestapo da, da wußten wir, was los war. Wenn man vorgeladen wurde, ist man weggekommen. So ist es meinem Vater ergangen, so ist es meinem Cousin ergangen und allen, die wir kannten. Eine goldene Uhr meines Vaters habe ich geopfert, um in Berlin zu falschen Ausweispapieren zu kommen."2 An anderer Stelle erzählt Bamberger: „Als ich 1941 in die Tschechoslowakei fliehen wollte, wurde ich an der Grenze geschnappt und ins Konzentrationslager Flossenbürg bei Weiden eingeliefert Dort bekam ich bei der Strafkompanie zum ersten Mal 25 Stockhiebe. Während meiner Haft in mehreren Lagern bekam ich insgesamt 75 Stock- oder Peitschenhiebe. [...] Viele Schläge gingen auch auf den Rücken und die Wirbelsäule. Da mir damals die Wirbelsäule verletzt wurde, habe ich im Alter jetzt öfter starke Schmerzen."3

Salzwassertrinkversuch im KZ Dachau

Im Januar 1942 gelangte Bamberger als „Zigeuner“ markiert ins KZ Flossenbürg, wo er im Steinbruch arbeiten musste. Im Dezember 1942 kam er in ein KZ-Außenlager in Dachau, im Februar 1943 ins Stammlager Dachau. Hier wurde er 1944 zu den Salzwasser-Trinkversuchen herangezogen. Jakob Bamberger musste nach den Forschungen Paul Weindlings einmal zehn und einmal vier Tage lang von nichts anderem als täglich einen halben Liter Salzwasser und einer Notfallration (2400 Kalorien) leben. Er selbst schilderte Jahrzehnte später sein Erlebnis folgendermaßen: „1943, im Frühjahr, kam ich dann mit einem Transport von Flossenbürg ins Konzentrationslager Dachau. [...]. In diesem Sommer 1944 mußte ich an medizinischen Versuchen mit Schwarzmeerwasser [sic] teilnehmen. Ich kann mich noch erinnern, das war in Block 37. Wir waren 43 Mann, die in einem Raum zusammengesperrt wurden, wir bekamen nichts zu essen und nur Meerwasser zu trinken. [...] Während meiner Boxkämpfe wog ich früher 95 Pfund. Dann kann man sich vorstellen, wie ich während der Haft ausgesehen habe. Und ich mußte an den Versuchen teilnehmen. Meine Kondition und mein Sportlerherz waren aber so gut, daß ich 18 Tage ausgehalten habe, bis ich auch zusammenbrach. [...] Schon kurz nach diesen Meerwasserversuchen hatte ich schwere Nierenschmerzen, obwohl alle meine Organe früher kerngesund waren. [...] Nach dem Versuch bekam ich erst einige Tage richtig zu essen und kam dann wieder ins Lager zurück. Kurze Zeit später brachte man mich nach Hauenstätten bei Augsburg, wo ich Messerschmitt-Flugzeuge für Deutschland bauen mußte. Ich mußte Treibstofftanks einbauen. Schon fast gegen Ende des Krieges wurde ich dann mit einem Transport mitgeschickt, der nach Buchenwald ging. Dort traf ich meinen Vater, der in Buchenwald noch am Leben war. Mein Vater war sechs Jahre lang im KZ, obwohl er gedienter Soldat im Ersten Weltkrieg war. [...] 1967 starb er im Alter von 81 Jahren [....]. Zuhause waren wir vier Buben und vier Mädchen. Nur ich und zwei meiner Schwestern kamen aus den Lagern zurück. Meine Mutter starb 1943 in Auschwitz."4

Über die Salzwassertrinkversuche sagte Bamberger in einem Interview darüber hinaus: Nur „kerngesunde Menschen wurden für diese Versuche genommen, bevorzugt junge und kräftige. [...] Ich hab' das 18 Tage mitgemacht, dann bin ich umgefallen und wurde aus dem Versuch gezogen. [...] Im August 1943 [sic; korrekt: 1944] wurden diese Versuche mit uns durchgeführt; wir waren 43 Pesonen in einem Raum. Da kann man sich vorstellen, was man da alles mitgemacht hat ... und so weiter. Stellen Sie sich mal vor, wie ich ausgesehen habe: Wenn ich mich zum Beispiel beim Boxen auf eine Meisterschaft vorbereitet habe, dann habe ich 95 Pfund gewogen. In der Zeit, wo ich im KZ war, da bin ich spindeldürr gewesen. Meinen Mantel konnte ich dreimal um mich herumwickeln. Aber das Herz war gesund und ich war vorher gut durchtrainiert, so daß ich diese Mördergrube überstehen konnte."5

Armut in der Nachkriegszeit

Jacob Bamberger wurde während eines Transports von Buchenwald nach Flossenbürg von US-Soldaten befreit. 1947 trat er als Zeuge im Nürnberger Ärzteprozess auf, in dem auch die Salzwasser-Trinkversuche verhandelt wurden.6 Im selben Jahr heiratete er, doch starb seine Frau zwei Jahre später an den Folgen der im KZ erlittenen Verletzungen. Bamberger musste bescheiden leben: „Von 1951 bis Anfang 1954 habe ich dann bei den Amerikanern gearbeitet. Ich war morgens der erste und abends der letzte bei der Arbeit und bekam nur Pfennige. [...] Ich hatte zwar keine besondere Schulbildung, aber ich habe gewußt, wie man sich gegenüber Nicht-Sinti benimmt [...]. Damals fing ich auch wieder an zu boxen und bekam für insgesamt 408 Kämpfe vom süddeutschen Verband das goldene Ehrenabzeichen. 1954 gab ich mit 41 Jahrn das Boxen auf. Gegen alle Olympiagewinner im Fliegengewicht habe ich gekämpft."7

Politisches Engagement

Bald begann Bamberger, sich um eine „Entschädigung“ zu bemühen, doch erst 1969 wurde ihm ge­mäß Bundesentschädigungsgesetz eine 25-prozentige Invalidität zugesprochen. Sein Nierenleiden wurde als Sportverletzung angesehen. Über dieses berichtete Bamberger: „1967 hat ein Arzt die Niere herausgenommen, danach hatte ich nicht mehr so irre Schmerzen. Vorher war ich jedes Jahr im Krankenhaus, bin drei- oder viermal operiert worden. Schon in Dachau hatte ich die Schmerzen, habe aber nichts gesagt, habe mich immer zum Arbeitseinsatz gemeldet. Wir haben ja gesehen, was sie mit den Leuten gemacht haben, die nicht mehr arbeitsfähig waren, daß die vergast wurden, die kamen ja nicht mehr zurück."7

Bamberger engagierte sich fortan politisch, unter anderem im Verband deutscher Sinti. In den 1980er Jahren beteiligte er sich an Protestaktionen, auch an einem Hungerstreik, gegen eine Datenerfassung aller in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Sinti und Roma durch die Behörden.8 Er lebte nun in der Nähe von Heidelberg.9 Er war Ehrenvorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.10

Das Humanexperiment

Die Salzwasser-Trinkversuche im KZ Dachau standen unter direkter Verantwortung des DGIM-Vorsitzenden Hans Eppinger und seines Assistenten Wilhelm Beiglböck, später auch DGIM-Mitglied. Bei einer wichtigen Vorbesprechung war auch der Berliner Pharmakologe Wolfgang Heubner, ebenfalls DGIM-Mitglied, anwesend.

Schließlich stimmte SS-Chef Heinrich Himmler den Humanexperimenten mit KZ-Häftlingen zu.11 40 Roma und Sinti mit der Häftlingsbezeichnung ASR („Arbeitsscheu Reich“) wurden in der Folge als Versuchspersonen aus Buchenwald nach Dachau verbracht. Hinzu kam eine zweite Gruppe, die aus vier bereits in Dachau inhaftierten Sinti bestand. Höhere Zahlenangaben sind wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass einige ursprünglich vorgesehene Versuchspersonen aufgrund ihres Gesundheitszustandes ausgemustert wurden.12

Beiglböck berichtete während des Nürnberger Ärzteprozesses, zunächst hätten sämtliche Versuchspersonen zehn Tage lang „volle Fliegerverpflegung“ (3000 Kalorien) erhalten. Anschließend habe eine Gruppe hungern und dürsten müssen, während die anderen Gruppen die Seenotverpflegung der Luftwaffe hätten essen dürfen. Eine Gruppe musste täglich einen halben Liter Meerwasser mit dem Zusatzstoff Berkatit trinken, eine weitere einen ganzen Liter. Eine andere Gruppe hatte das gemäß dem IG-Farben-Verfahren behandelte Seewasser zu trinken. Eine Kontrollgruppe durfte gewöhnliches Trinkwasser in beliebiger Menge zu sich nehmen.13

Der Zeitzeugenbericht von Karl Höllenreiner

Einer der 40 aus Buchenwald nach Dachau verlegten KZ-Häftlinge, Karl Höllenreiner, schilderte 1947 den Versuch aus Opferperspektive: „Gruppe 2 erhielt nur chemisch präpariertes Seewasser, welches eine dunkel-gelbe Farbe hatte und bestimmt noch viel schlimmer war als reines Seewasser. […] Ich gehörte zu Gruppe 2. [...] Der Doktor der Luftwaffe war immer anwesend, während das Wasser getrunken wurde. […] Während dieser Experimente hatte ich furchtbare Durstanfälle, fühlte mich sehr krank, verlor stark an Gewicht und zum Schluss bekam ich Fieber und fühlte mich so schwach, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. [...] Ich erinnere mich noch genau an eine Szene, wo ein tschechoslowakischer Zigeuner den Doktor der Luftwaffe gebeten hat, dass er unmöglich noch mehr Wasser trinken könnte. Dieser tschechoslowakische Zigeuner wurde daraufhin auf Anordnung von dem Doktor der Luftwaffe an ein Bett festgebunden, der Doktor der Luftwaffe goss diesem Zigeuner persönlich mittels einer Magenpumpe gewalttätig das Seewasser herunter. Während der Experimente erhielten die meisten Zigeuner Leber- und Rückenmarkpunktionen. Ich selbst habe eine Leberpunktion erhalten und weiß aus meiner eigenen Erfahrung, dass diese Punktionen furchtbar schmerzhaft waren. Noch heute, wenn das Wetter wechselt, fühle ich starke Schmerzen, wo die Leberpunktion durchgeführt wurde. Alle Leber- sowie Rückenmarkpunktionen wurden von dem Doktor der Luftwaffe persönlich durchgeführt. [...] Auf Befehl des Doktors der Luftwaffe wurden zwei tschechischen Zigeunern [sic], welche sich etwas frisches Wasser beschafft hatten, zur Strafe während der weiteren Durchführung der Experimente ständig auf ihren Betten mit Stricken festgebunden gehalten. Die meisten Zigeuner bekamen Wahnsinnsanfälle […]. Wenn solche Anfälle in Gegenwart des Doktors der Luftwaffe geschahen, lachte dieser nur ironisch und wenn es ihm zu schlimm wurde, gab es Leberpunktionen, worauf der Betroffene etwas ruhiger wurde. Niemand wurde jemals von den Experimenten befreit, nachdem er einen solchen furchtbaren Anfall mitgemacht hat. Ungefähr zwischen der ersten und zweiten Woche der Experimente wurden alle Zigeuner auf Tragbahren mit weißen Tüchern überdeckt aus dem Krankenzimmer heraus in den Hof getragen. Hier wurden die nackten Körper fotografiert in der Anwesenheit des Doktors der Luftwaffe, welcher die ironische Bemerkung machte, daß die Leute lachen sollten, damit die Bilder freundlicher aussehen würden. Kurz nach den Aufnahmen wurden uns Nummern auf die Brust tätowiert. Diese Tätowierung wurde von dem Doktor der Luftwaffe persönlich durchgeführt. Er benutzte dazu eine chemische Flüssigkeit, welche entsetzlich brannte. […] Von den ursprünglich 40 hat einer, wie bereits erwähnt, die Versuche nur wenige Tage mitgemacht. Drei waren so dem Tode nah, dass man sie am selben Abend auf Tragbahren, mit weißen Tüchern abgedeckt, herausgetragen hat. Von diesen drei habe ich niemals wieder etwas gehört.“14 Eindeutige Belege für den Tod von Menschen „während der Experimente oder in deren Folge“ sind bislang nicht aufgefunden worden.15 Drei der während des Humanexperiments Malträtierten starben jedoch noch in der NS-Zeit.16


Quellennachweise

Vgl. Jakob Bamberger, ... und mir wollen sie den Hungerstreik verbieten, in: Pogrom. Zeitschrift für bedrohte Völker. III. Welt-Roma-Kongreß, Sonderausgabe Göttingen 1981, S. 144–146; Donald Kenrick, The A to Z of the Gypsies (Romanies). Lanham/Toronto/Plymouth 2010, S. 16.Zit. n. Jörg Boström (Hg.)/Uschi Dresing (Hg.)/Jürgen Escher/Axel Grünewald, Das Buch der Sinti. "... nicht länger stillschweigend das Unrecht hinnehmen!", Berlin 1981, S. 157.Bamberger, Hungerstreik, S. 144.Bamberger, Hungerstreik, S. 144 f.– Vgl. Paul Weindling, „Unser eigener ‚österreichischer Weg‘“: Die Meerwasser-Trinkversuche in Dachau 1944, in: Herwig Czech/Paul Weindling, Österreichische Ärzte und Ärztinnen im Nationalsozialismus, Wien 2017 (= Jahrbuch des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes 2017), S. 133–177, S. 168 (www.doew.at); International Tracing Service (ITS), Medizinische Menschenversuche: Versuche zur Trinkbarkeit von Meerwasser, 82232081 – 82232087, 1. 12. 1969; ITS 5470836, Jakob Bamberger; The Nuremberg Medical Trial 1946/47. Transcripts, Material of the Prosecution and Defense. Related Documents. Microfiche Edition. English Edition, hg. v. Klaus Dörner/Angelika Ebbinghaus/Karsten Linne im Auftrag der Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts in Zusammenarbeit mit Karlheinz Roth und Paul Weindling, München 1999, 2/9128–9129; 4/7247–7256; Rainer Rother (Hg.), Geschichtsort Olympiagelände, Berlin 2006.Zit. n. Herbert Spaich, Fremde in Deutschland. Unbequeme Kapitel unserer Geschichte, Weinheim/Basel 1981, S. 47;  Michail Krausnick, Wo sind sie hingekommen? Der unterschlagene Völkermord an den Sinti und Roma, Gerlingen 1995, S. 81 f.Bamberger, Hungerstreik, S. 145.Zit. n. Boström u.a., Buch, S. 157.zentralrat.sintiundroma.de - Vgl. Spaich, Fremde, S. 88 f.Vgl. Spaich, Fremde, S. 45.Vgl. Krausnick, Wo sind sie hingekommen? S. 81.Vgl. Alexander Mitscherlich/Fred Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, 18. Aufl. Frankfurt am Main 2012, S. 80.Vgl. ausführlich Weindling, Weg, S. 147 f.; Ralf Forsbach/Hans-Georg Hofer, Internisten in Diktatur und junger Demokratie. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin 1933–1970, Berlin 2018, S. 157 ff.Archiv des Vogelsang-Instituts Wien, Nachlass Gustav Steinbauer, Fragen und Antworten Beiglböck; vgl. Mitscherlich/Mielke, Medizin, S. 81.Höllenreiner am 17. Juni 1947 während des Nürnberger Ärzteprozesses, hier zit. n. Ernst Klee, Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, 4. Aufl. Frankfurt am Main 1997, S. 247 ff. – Vgl. ebd. weitere Beiglböck belastende Aussagen auch anderer Zeugen. Vgl. auch die Darstellung in Weindling, Weg, S. 147 ff.Weindling, Weg, S. 135; vgl. ebd., S. 153.Vgl. Weindling, Weg, S. 155; Paul Weindling, Victims and Survivers of Nazi Human Experiments. Science and Suffering in the Holocaust, London u.a. 2015. S. 134.

Wir verwenden Cookies auf Ihrem Browser, um die Funktionalität unserer Webseite zu optimieren und den Besuchern personalisierte Werbung anbieten zu können. Bitte bestätigen Sie die Auswahl der Cookies um direkt zu der Webseite zu gelangen. Weitere Informationen finden Sie unter Datenschutz. Dort können Sie auch jederzeit Ihre Cookie-Einstellungen ändern.

Infos
Infos
Mehr Info