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Otto Bickenbach

geb. am 11.03.1901 in Ruppichteroth (Rheinland)
gest. am 26.11.1971 in Siegburg

Mitglied der DGIM 1930 bis 1934

Nach der Vertreibung des renommierten Direktors der Medizinischen Klinik in Freiburg, Siegfried Thannhauser, installierte das badische Kultusministerium mit Otto Bickenbach einen Mann, der ein Garant der Umwälzung im nationalsozialistischen Sinne war.1 Am 25. April 1934 wurde er zum stellvertretenden Direktor mit weitgehenden Vollmachten ernannt. Zu diesem Zeitpunkt war der in Ruppichteroth im rheinischen Siegkreis geborene Bickenbach Assistent an der I. Medizinischen Universitätsklinik in München. Als früheres Mitglied der Freikorps Lettow-Vorbeck und Ehrhardt war er im Mai 1933 der NSDAP und im Oktober 1933 der SA beigetreten.

Schon im Oktober 1934 wechselte Bickenbach von Freiburg nach Heidelberg an die Medizinische Klinik, wo er Oberarzt unter dem überzeugten Nationalsozialisten Johannes Stein wurde. 1938 habilitierte er sich mit einer Arbeit zu „Blutkreislaufkorrelationen als Grundlage konstitutioneller Leistungsfähigkeit“. Zeitweilig forschte er mit Unterstützung der I.G. Farben. Wie Johannes Stein kam er 1940/41 an die Reichuniversität Straßburg. Dort wurde er im November 1941 außerordentlicher Professor und Direktor der Medizinischen Poliklinik.

Aktiver Nationalsozialist

Nachdem er an den Münchener Krankenhäusern die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) aufgebaut hatte, kam er als „Säuberungskommissar“ nach Freiburg. Seine Tätigkeit dort „geriet zur fortgesetzten Provokation“.2 Offen polemisierte er gegen die früheren „Mitarbeiter des ‚Juden Thannhauser‘ […], deren weiteres Verbleiben im Dienst untragbar sei“.3 Zu diesem Zeitpunkt war Bickenbach noch Mitglied der DGIM, die ihn ab 1935 nicht mehr verzeichnete.

Kampfstoffforschung

Unter dem Datum des 13. Dezember 1943 ist auf Bickenbachs Karteikarte beim Reichsforschungsrat vermerkt: „[Hitlers Begleitarzt Karl] Brandt befürwortet RM. 25.000,- f. Arbeiten auf dem K-Gebiet.“4 Das „K“ steht hier für Kampfstoffe. Das Projekt wurde im Februar 1944 benannt: „U.[ntersuchungen] zur Wirkungsweise d.[er] Kampfstoffe.“5 Die Sachbeihilfe wurde am 1. März 1944 bewilligt, der Forschungsauftrag im Juni 1944 erteilt und im November 1944 verlängert.6

50 Tote bei Versuchen im KZ Natzweiler-Struthof

Bereits zuvor hatte Bickenbach mit seinem Assistenten Helmut Rühl Versuche im KZ Natzweiler-Struthof aufgenommen. Dort existierte seit August 1943 eine Gaskammer, in der Bickenbach mit seinem Assistenten Helmut Rühl von Juni bis August 1944 von Auschwitz nach Natzweiler verbrachte „Zigeuner“ Phosgen aussetzte. Mehr als 50 Menschen überlebten die Humanexperimente nicht. Untersucht werden sollte unter anderem die Wirksamkeit eines von Bickenbach entwickelten Stoffs zur Minderung der Wirkung von Phosgenvergiftungen.7

Amnestiert nach Verurteilung zu lebenslanger Zwangsarbeit

Bickenbach wurde am 17. März 1947 festgenommen und von der französischen Justiz verurteilt. Ein Metzer Militärgericht verurteilte ihn Heiligabend 1952 wegen eines „Verbrechens der Anwendung gesundheitsschädlicher Substanzen und Giftmord“ zu lebenslanger Zwangsarbeit. Nachdem ein Pariser Militärgericht im Januar 1954 das Urteil aufgehoben hatte, wurde Bickenbach im Mai 1954 zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Schon im Herbst 1955 wurde Bickenbach amnestiert.

Fürsprache der DGIM

Während Bickenbachs Inhaftierung setzte man sich aus der DGIM heraus intensiv für ihn ein. Dokumentiert ist der Versuch, 1954 über den DGIM-Vorsitzenden Heinrich Pette eine breite Unterstützung für Otto Bickenbach zu erreichen. Pette sicherte zu, in der Angelegenheit Fühlung mit Hans Heinrich Berg zu nehmen und sie in Vorstand und Ausschuss anzusprechen.8 Während der Beratungen trafen Schreiben weiterer Fürsprecher Bickenbachs ein, darunter von Alfred Schittenhelm: „Sicher ist […], dass Herr Bickenbach an Menschen experimentierte und auch einige Todesfälle vorkamen. […] Wenn man auch solchen Versuchen nicht zustimmt, so möchte man doch einem bedrängten Collegen helfen.“9

Man beschloss, zunächst im Auswärtigen Amt nachzufragen, zumal Paul Martini bereits Jahre zuvor über Bickenbach mit dem Auswärtigen Amt korrespondiert hatte.10 Schriftführer Friedrich Kauffmann schrieb nach Bonn: „Aus Kreisen der Deutschen Gesellschaft für innere Medizin wurde angeregt, ob nicht ein Schritt unserer Gesellschaft zugunsten des in französischer Haft befindlichen Prof. Dr. Bickenbach unternommen werden könnte. In der Angelegenheit Prof. Bickenbach erhielt ich etwa im Sommer des vergangenen Jahres bereits ein Schreiben des Auswärtigen Amtes mit der Bitte, nichts über die Angelegenheit Prof. Bickenbach der Presse zu übergeben. Darf ich vielleicht um die Freundlichkeit bitten, mir baldmöglichst eine Stellungnahme des AA zu der Frage zukommen zu lassen, ob es tunlich oder gar erwünscht ist, dass unsere Gesellschaft einen Schritt zugunsten von Prof. Bickenbach bei dem französischen Botschafter unternimmt.“11 Kauffmann wies ausdrücklich darauf hin, dass man in den Fällen Handloser und Beiglböck den „Erfolg“ einer „Strafmilderung“ habe erreichen können.12

Ansprechpartner für die DGIM im Auswärtigen Amt war der stellvertretende Leiter der Politischen Abteilung, Heinz Trützschler von Falkenstein. Er ließ im März 1954 bei einem Telefonat Kauffmann wissen, dass er von einer Intervention der DGIM dringend abrate, da „die Aussichten“ für Bickenbach „jetzt günstiger als früher“ seien. Sorge über die Höhe seiner Anwaltskosten müsse man sich nicht machen. Diese trage das Auswärtige Amt.13 Parallel stand Paul Martini mit Hermann Jetter vom Bundespräsidialamt in Kontakt und bat dort um Material, das eine etwaige Begutachtung des Falles durch die DGIM erleichtern würde.14 Ein solches Gutachten wurde von Jetter auf jeden Fall als hilfreich angesehen.15

Kauffmann entwickelte derweil die Idee, wie in den Fällen Handloser und Beiglböck eine Dreierkommssion zur Begutachtung Bickenbachs zu bilden und brachte hierfür Paul Römer (Stuttgart) sowie Klee, Martini, Pette und sogar Schittenhelm ins Gespräch.16 Aufgrund der Vorverlegung des maßgeblichen Berufungsverfahrens gegen Bickenbach entstand ein Zeitdruck, der ein reguläres Tagen wohl nicht mehr ermöglichte. In den erhalten gebliebenen Akten finden sich zahlreiche Entlastungsschreiben zugunsten Bickenbachs und eine auf „April 1954“ datierte, neunseitige „Stellungnahme“ Carl Römers, die der DGIM als Gutachten hätte dienen können.17

Akten aus der dem Gerichtsverfahren folgenden Zeit bis zur Amnestierung Bickenbachs im Herbst 1955 sind bei der DGIM nicht erhalten.

Privatpraxis in Siegburg

Bickenbach praktizierte bis zu seinem Tod in Siegburg, Siegfeldstraße 7a, ohne Kassenzulassung. Das Berufsgericht für Heilberufe sah 1966 seine ärztlichen Berufspflichten nicht verletzt.18 Sein einstiger an den Verbrechen beteiligter Assistent Helmut Rühl war in Siegburg als Amtsarzt tätig.19


Quellennachweise

Zur Biographie Bickenbachs vgl. Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, 4. Aufl. Frankfurt am Main 2013, S. 47 f.; Florian Schmaltz, Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus. Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie, Göttingen 2005, S. 521 f.; Patrick Wechsler, La Faculté de Medecine de la „Reichsuniversität Straßburg“ (1941–1945) a l'heure nationale-socialiste, Diss. phil. Strasbourg 1991 (freidok.uni-freiburg.de); Ernst Klee, Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, Frankfurt am Main 1997, S. 385 f.Hermann-Josef Hellmich, Die Medizinische Fakultät der Universität Freiburg i. Br. 1933–1935. Eingriffe und Folgen nationalsozialistischer Personalpolitik, Diss. Freiburg i. Br. 1989, S. 165 f.Ebd.Bundesarchiv Berlin, BDC, A-3, DS BO 115 (RFR), Karteikarte Bickenbach.Ebd.Ebd.Vgl. Klee, Auschwitz, S. 378 ff.; Schmaltz, Kampfstoff-Forschung, S. 521 f.; Angelika Uhlmann, Die medizinische Fakultät der Reichsuniversität Straßburg und die Menschenversuche im KZ Natzweiler-Struthof, in: Judith Hahn/Silvija Kavcic/Christoph Kopke (Hg.), Medizin im Nationalsozialismus und das System der Konzentrationslager. Beiträge eines interdisziplinären Symposiums, Frankfurt am Main 2005, S. 165–187, S. 176 ff.; www.struthof.fr/fileadmin/MEDIA/Pdf_Ressources/07_Mediatheque/telechargement/ressources/sinti_natzweiler_dt.pdf , einges. 12.2.2020.DGIM-Geschäftsstelle Wiesbaden, Akte Bickenbach, Reche an Pette, 2.3.1954.Ebd., Schittenhelm an Berg, 23.3.1954.Ebd., Trützschler/A.A. an Kauffmann, 9.2.1953, Abschrift.Ebd., Kauffmann an Auswärtiges Amt, 5.3.1954, Abschrift.Ebd.Ebd., Kauffmann an Berg, 23.3.1954.Ebd., Aktennotiz Martinis, 26.3.1954.Ebd., Jetter an Glocker, 26.3.1954.Ebd., Kauffmann an Berg, 30.3.1954.Ebd., Stellungnahme Römers, April 1954.Vgl. Klee, Personenlexikon, S. 47 f.Vgl. Ansgar Sebastian Klein, "Euthanasie", Zwangssterilisation, Humanexperimente. NS-Medizinverbrechen an Rhein und Sieg 1933–1945, Wien/Köln/Weimar 2020 (= Stadt und Gesellschaft, 8), S. 330.

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