Hermann Freund wuchs als jüngster Sohn des jüdischen Rechtsanwalts und Notars Wilhelm Salomon Freund (1831–1915) und seiner Ehefrau Clara geb. Immerwahr (1845–1914) in Breslau auf.1 Salomon Freund war Jurist und Ehrendoktor der Universität Breslau, zudem Abgeordneter für die Linksliberalen im Preussischen Landtag und im Deutschen Reichstag.
Nach seiner Schulzeit am St. Maria Magdalena-Gymnasium (Abitur 1900) studierte Hermann Freund in Freiburg i. Brsg., Breslau und München Chemie und Medizin. Am 15. März 1906 wurde er in Breslau zum Dr. phil. (Chemie) unter Albert Ladenburg (1842–1911) und am 30. Juni 1909 in Heidelberg unter Ludolf von Krehl (1861–1937) zum Dr. med. promoviert.2
Freund absolvierte seine Medizinalassistentenzeit an der von Karl Bonhoeffer (1868–1948) geführten Psychiatrischen Klinik in Breslau und am Städtischen Krankenhaus in Wiesbaden unter dem Internisten Wilhelm Weintraud (1866–1920). Nach Erhalt der Approbation am 16. Februar 1909 wurde er zunächst Volontär-, dann Assistenzarzt an der von Krehl geleiteten Medizinischen Klinik in Heidelberg.
Im Ersten Weltkrieg wurde Freund „unabkömmlich“ gestellt. Er engagierte sich in der Heimat als Lazarettarzt und wurde 1916 für seine Verdienste mit dem Kriegsverdienstkreuz des Großherzogs von Baden ausgezeichnet.3
Venia legendi und Ruf nach Münster
Im Dezember 1916 habilitierte sich Freund für das Fach Innere Medizin und wurde Privatdozent.4 Zum 1. Dezember 1918 wechselte er auf die Stelle des Ersten Assistenten zu Rudolf Gottlieb (1864–1924) an das Pharmakologische Institut in Heidelberg. Kurz darauf wurde seine Venia legendi um das Fach Experimentelle Pharmakologie erweitert. Im Dezember 1921 erfolgte die Ernennung zum außerordentlichen Professor für Innere Medizin und Experimentelle Pharmakologie.5
Als die Westfälische Wilhelms-Universität Münster 1924 eine Medizinische Fakultät einrichtete, wurde Freund Ordinarius und Leiter des neu gegründeten Pharmakologischen Instituts, dessen Planung und Bau er begleitete. Im Berufungsverfahren hatte er sich durch eine „außergewöhnlich vertiefte Durchbildung in der inneren Medizin und pathologischen Physiologie“ ausgezeichnet.6
Das Institut in Münster wurde zusammen mit der gesamten Fakultät am 1. Mai 1925 offiziell eröffnet. Seine Forschungsausrichtung beschrieb Freund mit den Worten: „Das Pharmakologische Institut […] hat bezgl. Forschung die Aufgabe, die Arzneimittel in chemischer Hinsicht (Methoden der Chemie) zu studieren und vor allem ihre Wirkung auf den lebenden Organismus (Methoden der Physiologie) festzustellen. Oft kommt es auch darauf an, Krankheitssymptome in ihrem Wesen aufzuklären, um dadurch Gesichtspunkte für die Anwendung zweckmäßiger Heilmethoden zu gewinnen (experimentelle Pathologie). Das höchste Ziel, die Bekämpfung der Krankheitsursachen, fordert die Hilfsmittel der bakteriologischen und serologischen Methodik (experimentelle Therapie).“7
In Münster fand Freund „ideale institutionelle Gegebenheiten“ vor, um seine Forschungen in der von ihm beschriebenen Ausrichtung realisieren zu können.8 Später an ihn ergangene Rufe nach Heidelberg (1925) und Düsseldorf (1930) auf die dortigen Lehrstühle für Pharmakologie lehnte er ab.
Forschungsinteressen
Freunds umfangreiches Schriftenverzeichnis zeugt von einer hohen Forschungsaktivität.9 Er forschte, noch unter Krehl, vor allem zur Physiologie der Wärmeregulation, zu Fieber und Blutzucker. Später widmete er sich verstärkt der Auswirkung von Erkrankungen auf die pharmakologische Wirkung von Medikamenten sowie dem Muskelstoffwechsel. In mehreren Aufsätzen setzte er sich zudem kritisch mit der Homöopathie auseinander.
Ludwig Lendle schrieb Freund in seinem Nachruf die Prägung einer eigenen Richtung in der Pharmakologie zu, welche sich in ihren experimentellen Studien stark auf die klinische Medizin hin orientierte und den Einschluss pathophysiologischer Überlegungen betonte („Pharmakologie für die Klinik“).10
Freund war neben der DGIM auch Mitglied in der Deutschen Pharmakologischen Gesellschaft. 1929 wurde er Gastgeber der DPG-Jahrestagung, deren Vorsitz Wolfgang Heubner (1877–1957) innehatte.11
Repressionen unter den Nationalsozialisten
Am 30. März 1933, eine Woche vor Inkrafttreten des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurde Freund durch einen SA-Sturmführer die weitere Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit und der Aufenthalt in den Diensträumen untersagt. Nach der Beurlaubung Freunds übernahm sein Assistent Karl Eduard Zipf (1895–1990) die kommissarische Leitung des Instituts. Wohl infolge des erfolgreichen Protests zweier Schüler Freunds, Günther von Bruck und Willy König, wurde die Beurlaubung im Oktober 1933 wieder aufgehoben.
Im Juni 1933 trat Freund aus der jüdischen Gemeinde aus, vermutlich um politische Zuverlässigkeit als deutscher Staatsbürger zu demonstrieren. Im September 1934 leistete er den Diensteid der Beamten auf Adolf Hitler. Dennoch wurde unter Berufung auf § 4 der „Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935“ zum Jahreswechsel 1936 ein Berufsverbot gegen ihn verhängt und eine endgültige Entlassung aus dem Universitätsbetrieb verfügt. Sein Nachfolger wurde Ludwig Lendle (1899–1969), der den Lehrstuhl bis 1943 innehatte und dann nach Leipzig wechselte.
Im Zuge der Entlassung musste Freund auch seine Wohnung im Dachgeschoss des Pharmakologischen Instituts aufgeben; er zog in die Annette-von-Droste-Hülshoff-Allee 16. Dort setzte er private Forschungen fort und blieb in Austausch mit Kollegen und Freunden. Publikationen erschienen aufgrund eines gegen ihn verhängten Publikationsverbots ab 1937 jedoch nicht mehr. Auslandsreisen zu Kongressen wurden ihm als „Nichtarier“ von Amtswegen mehrfach untersagt.12
Emigration, Deportation und Ermordung
Am 3. Oktober 1939 emigrierte Freund in die Niederlande und fand eine Anstellung im pharmazeutischen Unternehmen von Dr. Johannes J. Duyvené de Witt (1909–1965) in Amsterdam. Einer universitären Lehrtätigkeit durfte er nicht mehr nachgehen, da dies durch die NS-Behörden zur Bedingung seiner Ausreise gemacht worden war.13 Als 1940 die Wehrmacht in die Niederlande einmarschierte, wurde die Lage für Freund erneut prekär. Zum 1. September 1941 stellten die Behörden die Zahlung seines Ruhegehaltes wegen „Volks- und Staatsfeindlichkeit“ ein.14 Teile seines Vermögens waren bereits am 6. September 1938 per „Sicherungsanordnung“ für mögliche „Reichsfluchtsteuern“ gepfändet worden; der Rest wurde im Juni 1941 zugunsten des Deutschen Reiches beschlagnahmt. Im selben Monat leitete die Gestapo Münster ein Ausbürgerungsverfahren gegen Freund ein.
Am 26. November 1942 wurde Freund von der Gestapo in Amsterdam verhaftet und in das „Judendurchgangslager“ Westerbork gebracht. Von dort erfolgte am 18. Januar 1944 mit 870 weiteren Juden die Deportation nach Theresienstadt, am 12. Oktober 1944 nach Auschwitz, wo er zwei Tage später ermordet wurde.15
Familie
Freund hatte drei ältere Geschwister, Lisbeth (1872–1963), Walther (1874–1952) und Rudolf Ernst (1877–1959), die alle den Holocaust überlebten. Walther Freund war ein anerkannter Pädiater in Breslau, der bei Adalbert Czerny (1893–1941) lernte und 1932 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin wurde. Infolge der antisemitischen Repressionspolitik der Nationalsozialisten wurde er abgesetzt, enteignet und nach Südfrankreich in ein Internierungslager deportiert. Dem Weitertransport in ein Vernichtungslager konnte er knapp entkommen und in die Schweiz flüchten. Nach einem Jahr in den USA kehrte er 1950 zurück nach Deutschland (Freiburg).16
Hermann Freund blieb unverheiratet. Er hielt jedoch eine enge Bindung zu seinem Schüler Willy König (1903–1963) und dessen Ehefrau Irmgard König geb. Fischer (*1897), die er 1933 rechtskräftig als Tochter adoptierte.
Nachrufe
1947 fand in Hamburg die erste Tagung der Deutschen Pharmakologischen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg statt. In seiner Eröffnungsrede erinnerte der Vorsitzende Behrend Behrens (1895–1969) an Freund mit knappen Worten: „Ebenso erschüttert hat uns die Nachricht vom Tode Hermann Freunds.“17 In der ausführlichen Würdigung verstorbener Mitglieder durch Paul Martini, der 1948 als Vorsitzender des ersten Nachkriegskongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin die Eröffnungsansprache hielt, fand Freund, der fast 30 Jahre Mitglied der DGIM war, keine Erwähnung.18
1953 erschien in Naunyn-Schmiedebergs Archiv für Experimentelle Pathologie und Pharmakologie ein längerer Nachruf auf Hermann Freund, den sein Nachfolger in Münster Ludwig Lendle verfasst hatte. Darin ehrte er ihn als lebensfrohen, klugen und unabhängigen Denker, den „der Druck des Parteiterrors […] doch bald aus dem Amt und aus dem Umkreis seiner Freunde in die Vereinsamung [zwang]“, ihn „unrettbar in das Schicksal des Judentums geraten“ ließ.19 In Zitation von Freunds Bruder Walther ging Lendle fälschlicherweise davon aus, dass Freund „im Herbst 1944 nach dem Lager Mauthausen verbracht [wurde], ‚wo er an einer infolge Verletzung am Fuß entwickelten Phlegmone eines ruhigen Todes gestorben‘ sein soll“.20
Das tatsächliche Schicksal Hermann Freunds wurde erst deutlich später aufgedeckt.21 Zu seinem Gedenken ließen das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und die Deutsche Gesellschaft für Pharmakologie 2010 vor seiner letzten Wirkstätte (Domagkstraße 12, damals: Am Westring 12) und vor seinem letzten Wohnhaus (Annette-Allee 16) Stolpersteine verlegen.