Gotthold Herxheimer wurde in Wiesbaden als ältester Sohn des jüdischen Arztes Salomon Herxheimer (1842–1899) und seiner amerikanischen Ehefrau Fanny geb. Livingstone geboren.1 Kurz nach seiner Geburt zog die Familie zunächst nach Wien, später nach Frankfurt am Main, wo Herxheimer sich als Dermatologe niederließ. Salomon Herxheimers Bruder Karl Herxheimer (1861–1942) war ebenfalls Dermatologe. Als Gründungsmitglied der Frankfurter Universität übernahm er das Ordinariat für Dermatologie und Venerologie und wurde zu einem führenden Vertreter seines Fachs. 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert und verstarb dort wenige Monate später.2
Gotthold Herxheimer besuchte das Frankfurter Realgymnasium Wöhlerschule und ab 1882 bis zu seinem Abitur 1891 das Städtische Gymnasium. Er studierte Medizin in Straßburg, Berlin und Greifswald. 1896 bestand er in Greifswald das Staatsexamen und wurde unter Friedrich Mosler (1831–1911) mit einer Arbeit zur Sklerodermie zum Dr. med. promoviert.3
Ab 1898 arbeitete Herxheimer als Assistenzarzt bei dem Pathologen und Virchow-Schüler Johannes Orth (1847–1923) an der Universitätsklinik Göttingen. Zwei Jahre später wechselte er zu Carl Weigert (1845–1904) an das Pathologisch-Anatomische Institut der Senckenbergischen Stiftung in Frankfurt am Main. Als 1902 in seiner Geburtsstadt Wiesbaden am Städtischen Krankenhaus eine Prosektur eingerichtet wurde, übernahm der erst 30-jährige Herxheimer deren Leitung und baute sie zu einer der führenden pathologischen Forschungsinstitute in Deutschland aus.4 Für seine intensive Forschungstätigkeit wurde ihm 1907 der Professorentitel zuerkannt.
Forschungsinteressen
Herxheimer arbeitete zu vielen Themen der allgemeinen, speziellen und klinischen Pathologie. Er verfasste etwa 250 Fachpublikationen.5 Bekannt wurde er vor allem für seine Forschungen zur Diabetes und den Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse; weitere Schwerpunkte waren das Verhältnis zwischen Syphilis und akuter gelber Leberatrophie sowie die Pathologie der Epithelkörperchen. Als Herausgeber des auf Hans Schmaus (1862–1905) zurückgehenden „Grundriss der pathologischen Anatomie“ und Verfasser weiterer Überblicks- und Lehrwerke, darunter „Technik der pathologisch-histologischen Untersuchung“, trug Herxheimer auch grundlegend zu seinem Fach bei.6 Einige seiner Publikationen bezeugen nicht zuletzt (fach-)historisches Interesse.7
Weitere Tätigkeiten
Während des Ersten Weltkriegs diente Herxheimer in Belgien als pathologischer Anatom und Prosektor der Kriegslazarette an der Westfront.8 Patriotisch gesinnt hatte er bereits 1893 Kriegsdienst als Einjährig-Freiwilliger im Königlich Bayrischen Infanterie-Leibregiment abgeleistet.9 Er war eingeschriebenes Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei.10
Herxheimer war Gründungsmitglied der Vereinigung Westdeutscher Pathologen (1920) sowie der Wirtschaftlichen Vereinigung deutscher pathologischer Anatomen (1921), dem Vorläufer des Bundesverband Deutscher Pathologen e.V. Ebenso trat er der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte bei und wurde 1930 zum ersten Geschäftsführer ihrer 92. Versammlung gewählt. Neben der DGIM war Herxheimer auch in der Deutschen Pathologischen Gesellschaft engagiert.
Umbruch 1933: Nationalsozialistische Repressionen und fachpolitische Ausgrenzungen
Herxheimer war entweder konfessionslos oder zum Protestantismus konvertiert.11 Dennoch wurde er von den Nationalsozialisten als „jüdisch“ eingestuft. Infolgedessen verlor er 1933 nach über 30 Jahren Tätigkeit, für die er im Jahr zuvor noch anlässlich seines 60. Geburtstages von Anton Géronne (*1881) umfassend gewürdigt worden war, seine Stelle als Leiter der Wiesbadener Prosektur.12
Die Deutsche Pathologische Gesellschaft (DPG) hatte Herxheimer 1931 für zwei Jahre zu ihrem Vorsitzen gewählt. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 zeigte sie jedoch schnell und ohne große Widerstände ein opportunistisches Verhalten. Auf Intervention des nationalsozialistisch gesinnten Schriftführers der DPG Georg Benno Gruber (1884–1977) entschied der Vorstand im Frühjahr 1933, den Rücktritt Herxheimers zu veranlassen. Als Grund gab man die Sorge um einen möglichen öffentlichen Protest gegen Herxheimer auf der für Pfingsten geplanten Jahrestagung in Rostock an. Gruber stützte sich auf einen Brief des Dermatologen und Weggefährten Max Busch (1886–1934), der am 12. April 1933 in Bezug auf die geplante Tagung an Gruber schrieb: „Ich würde es begrüßen, wenn er [Herxheimer] ähnlich wie [Leopold] Lichtwitz zurücktreten würde. Ich würde es ferner für ratsam halten, den jüdischen Kollegen, die Vorträge angemeldet haben, den Rat zu geben, zurückzutreten. Ich halte es nicht für ‚opportun‘ den jüdischen Kollegen das Wort zu erteilen, nachdem überall von namhaften Vertretern der jüdischen Rasse unter Verkennung der durch Juden angerichteten Schäden und der durch sie hervorgerufenen oder wenigstens stark begünstigten, nie aber zurückgewiesenen Bedrückung des deutschnationalen Elementes und Strebens gegen das neue Deutschland gehetzt worden ist.“13
Infolge des schwindenden Rückhalts im Vorstand trat Herxheimer von seinem Amt zurück; interimsweise übernahm sein Vorgänger im Amt Werner Hueck (1882–1962). Der Vorstand beschloss zudem, die von Herxheimer maßgeblich vorbereitete und verantwortete Jahrestagung in Rostock in das darauffolgende Jahr zu verschieben, um einen störungsfreien Ablauf zu garantieren.14 Dort wurden diese Hintergründe nicht thematisiert. Stattdessen äußerte Hueck in seiner Eröffnungsansprache 1934, Herxheimer habe „die Tagung für 1932 und 1933 als Vorsitzender vorbereitet […], dann aber freiwillig den Vorsitz im vorigen Jahr nieder[gelegt].“15 Neun Jahre später (1953) behauptete der DPG-Vorsitzende Curt Froboese (1891–1994) in seiner Eröffnungsansprache zur 37. Jahrestagung in Marburg über den Umgang mit „Nichtariern“, die Fachgesellschaft habe „niemals, also auch nicht während der Jahre 1933–1945, irgendein Mitglied aus solchem Grunde gestrichen, ausgeschlossen oder ihm den Austritt nahegelegt […].“16
Auch in der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) war das Verhalten gegenüber Herxheimer zwiespältig. 1932 verantwortete er als erster Geschäftsführer die 92. Versammlung der Gesellschaft und hielt in dieser Funktion eine Ansprache an alle Teilnehmenden. In den 1933 veröffentlichten „Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte“ wurde die Ansprache des ersten Geschäftsführers – entgegen dem Usus in früheren und späteren Tagungsbänden – jedoch nicht abgedruckt.17 Gleichwohl wurde Herxheimer in den „Verhandlungen“ von 1934 als Mitglied des Vorstandes für den Wissenschaftlichen Ausschuss 1935/36 geführt.18 Eine Diskussion über einen möglichen Austritt geht aus den wenigen erhaltenen Niederschriften der GDNÄ-Vorstandssitzungen nicht hervor. Über die „Mitgliederbewegung“ heißt es in der Niederschrift der Vorstandssitzung vom 15.09.1934 in Hannover allgemein: „Bedauerlich ist der starke Rückgang des Mitgliedsbestandes. Herr Rassow berichtet, dass infolge der schwierigen Zeitläufe und besonders wegen des Austritts zahlreicher Nichtarier die Zahl der Mitglieder, die im Höchstjahr 1928 rd. 8000 betrug, gegenwärtig auf 4347 heruntergegangen sei.“19
Als Ferdinand Sauerbruch (1875–1951) 1936 als Erster Vorsitzender der GDNÄ die Festansprache der Jahresversammlung hielt, erwähnte er Herxheimer im darin enthaltenen Gedenkakt für verstorbene Mitglieder nicht, auch wenn dessen Tod zu diesem Zeitpunkt schon bekannt gewesen sein durfte. Ludwig Aschoff (1866–1942) wiederum, der GDNÄ-Vorsitzende von 1931/32, bezog sich in seinem Nachruf auf Herxheimer ausschließlich auf dessen Amt als Vorsitzender der DPG: „Die D[eutsche] P[athologische] Gesellschaft hat ihn [Herxheimer] seinerzeit zu ihrem Vorsitzenden gewählt und ihm damit die größte Ehrung erwiesen. Zeitumstände und zunehmende Krankheit veranlaßten ihn, den Vorsitz niederzulegen.“20
Reisen nach Afrika
Wie es 1933 um den Gesundheitszustand Herxheimers tatsächlich stand, ist nicht eindeutig zu beantworten. Dass dieser seine Rücktrittsentscheidung beeinflusste, gilt nach heutigem Forschungsstand als unwahrscheinlich.21 Dennoch schien Herxheimer herzkrank gewesen zu sein.22 Ende 1933 reiste er mit seiner Ehefrau Gertrud geb. von Pochinger (*1888) nach Mombasa.23 1936 verstarb er auf einer Erholungsreise in Simons‘ Town bei Kapstadt (Südafrika) an den Folgen eines Herzinfarktes.24