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Die DGIM in der NS-Zeit

Verfolgung und Ausgrenzung

Im letzten Jahr der Weimarer Republik feierte die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin mit ihren 1223 Mitgliedern (darunter 15 Frauen) ihr 50-jähriges Bestehen. Man tat dies im Bewusstsein der fragilen politischen Lage, zugleich mit Stolz auf die eigene Tradition. Der Altvorsitzende Georg Klemperer legte eine Jubiläumsschrift zur Geschichte der Fachgesellschaft vor, wurde gefeiert und zum Ehrenmitglied ernannt. 

Schon ein Jahr nach dem Jubiläumskongress war Klemperer damit befasst, seine Familie und sich selbst in Sicherheit zu bringen. Nach mehreren Anläufen emigrierte er Ende 1935 und erwartete in Boston „mit Gleichmut das Ende“, wie sein Bruder, der Romanist und Philologe Victor Klemperer, dokumentiert hat. 

Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin verlor in den Jahren nach 1933 nicht nur prägende Persönlichkeiten wie Georg Klemperer. Auch zahlreiche „einfache“ Mitglieder sahen sich gezwungen, Deutschland und ihre Fachgesellschaft zu verlassen. Solidarität erfuhren sie in nur wenigen Fällen. 

Mit dieser Entwicklung stellt die DGIM keine Ausnahme dar. Sie zählt zu den in den vergangenen Jahren genauer untersuchten medizinischen Fachgesellschaften, die sich zugleich als Einrichtungen des Bürgertums begreifen lassen, die angesichts der totalitären nationalsozialistischen Diktatur gerade erst zur Entfaltung gelangte Werte einer demokratisch organisierten Republik mit humanistischer Fundierung aufgaben.

„Das eigentliche Verhängnis lag“, so hat es der Politikwissenschaftler und Historiker Karl Dietrich Bracher formuliert, „im Versagen der Mehrheit der Gebildeten, die der Vorwurf des unterlassenen Guten treffen muß“. Die meisten Internisten haben im direkten Kontakt mit ihren Patientinnen und Patienten wohl „gut“ gehandelt, in politicis aber gehorchte man der neuen Obrigkeit. Dies gilt insbesondere für die Spitze der DGIM, die sich in den ersten Jahren den nationalsozialistischen Herrschern andiente, in – zunächst sogar vorauseilendem – Gehorsam handelte und die Preisgabe zentraler Prinzipien hinnahm. 

Zeichen der Solidarität mit politisch oder „rassisch“ verfolgten Kollegen waren selten. Im Gegenteil lag hier das Feld schneller Anpassung an die neuen politischen Verhältnisse, der „Selbstgleichschaltung“. Dem als Juden verfolgten Leopold Lichtwitz wurde wenige Wochen vor dem Wiesbadener Kongress, dem er vorstehen sollte, der Vorsitz der DGIM entzogen. Uneingeschränkte Solidarität fand Lichtwitz, Leiter der Inneren Abteilung des Berliner Rudolf-Virchow-Krankenhauses, offenbar nirgends, prominente DGIM-Mitglieder wie Gustav von Bergmann wandten sich völlig von ihm ab. Am 30. März 1933, genau zwei Monate nach dem Beginn der Kanzlerschaft Hitlers, reiste das Ehepaar Lichtwitz in die Schweiz. Es kehrte nie mehr nach Deutschland zurück. 

„Dem Geiste der nationalen Erhebung Rechnung tragend“

Innerhalb der DGIM hatte derweil der Kieler Klinikdirektor Alfred Schittenhelm die Führung übernommen. Schnell zeichnete sich ab, dass er der Tradition widersprechend zwei Kongressen hintereinander vorstehen würde. Wie entschlossen sich die DGIM-Spitze den neuen Verhältnissen anpasste, spiegelt das Protokoll mit der in indirekter Rede wiedergegebenen Erklärung Schittenhelms vor dem Ausschuss, dem nach dem Vorstand zweithöchsten Gremium der DGIM: „Schittenhelm sei dem Geiste der nationalen Erhebung Rechnung tragend bestrebt gewesen, die diesjährige Tagung völlig deutschstämmig zu machen. Damit werde verhütet, dass Strömungen oder Anfeindungen des Kongresses entstünden, wodurch dem Ansehen des Kongresses auch im Auslande Schaden zugefügt werde. Solche Störungen seien zu fürchten gewesen, wenn Juden auf dem Kongress Vorträge halten würden.“ Der Ausschuss mit seinen etwa 25 Mitgliedern billigte die Ausführungen ausdrücklich. 

Unsystematischer Ausschluss jüdischer Mitglieder

Unter Schittenhelm begann die innerhalb der DGIM unsystematisch vollzogene Ausgrenzung der Mitglieder mit jüdischem Hintergrund. Recherchen haben bisher ergeben, dass zwischen 1933 und 1940 etwa 250 Mitglieder nach den Kriterien der Nationalsozialisten Juden waren. Die uns Bekannten werden auf dieser Website namentlich genannt. Einige von ihnen wurden noch im letzten während der NS-Zeit publizierten Mitgliederverzeichnis von 1940 aufgeführt, zum Teil mit ihrer neuen Adresse im Exil. Die Mehrzahl ihrer jüdischen Mitglieder verlor die DGIM wohl durch fehlenden Kontakt aufgrund von Flucht, Vertreibung und aus dem Exil nicht mehr gezahlter Mitgliederbeiträge. In Einzelfällen ist es zur ausdrücklichen Aberkennung der Mitgliedschaft gekommen. Dokumentiert ist dies im Fall des Wiener Internisten Julius Bauer, der die nationalsozialistische „Erbgesundheitspolitik“ in mehreren Veröffentlichungen mit wissenschaftlichen Argumenten angeprangert hatte und den Zorn von Reichsärzteführer Gerhard Wagner auf sich zog. 1936 wurde Bauer, der dem Ausschuss der DGIM angehörte, unter dem Vorsitz von Alfred Schwenkenbecher aus der Fachgesellschaft ausgeschlossen. 

Zwangssterilisierungen und Humanexperimente in Konzentrationslagern 

Auch die auf Schittenhelm folgenden Vorsitzenden der DGIM lehnten den Nationalsozialismus nicht ab. Bis auf Herbert Assmann, der in die SA überführt worden war, gehörten sie alle bis 1945 der NSDAP an. Mittelbar waren einige von ihnen an NS-Medizinverbrechen beteiligt, so Hans Dietlen, der Zwangssterilisierungen mit Röntgenstrahlung durchzuführen berechtigt war, und Hans Eppinger, der mitverantwortlich für die Meerwassertrinkversuche im KZ Dachau zeichnete. 

Die im Sinne des Nationalsozialismus Handelnden erscheinen auf dieser Website unter „Verfehlungen“, die von diesem Handeln Betroffenen unter „Emigration“, „Unterdrückung“ und „Medizinisches Unrecht“.  

Wenig Widerstand

Die Zahl der aus politischen Gründen Verfolgten und teilweise unentdeckt gebliebenen aktiv Widerstand Leistenden ist vergleichsweise gering. Verfolgte, aktive Gegner des Nationalsozialismus und sich oppositionell Äußernde aus den Reihen der DGIM aber sollen nicht vergessen sein. Zu ihnen zählen Paul Krause (Münster), Walter Seitz (Berlin) und Hermann Straub (Göttingen). Sie und weitere mutige Internisten werden auf dieser Website unter „Widerstand“ vorgestellt. 

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